- bronzezeitliche Klangwerkzeuge: Luren und andere
- bronzezeitliche Klangwerkzeuge: Luren und andereLange schon sind die bronzezeitlichen Luren bekannt. Archäologen und Musikwissenschaftler haben sich eingehend mit ihnen befasst, sie datiert, vermessen, nachgebaut, ihre Klänge und ihren Tonvorrat erforscht. Luren sind Blasinstrumente aus der Familie der Hörner, die im Nordischen Kreis der Bronzezeit in den Perioden III-VI, also zwischen 1300 bis 600 v. Chr. vorkommen. Das Wissen von dieser lange zurückliegenden Zeit, aus der die Luren zu stammen schienen, bezogen die Gelehrten um 1800 noch vorwiegend aus der altnordischen Literatur, den Sagas. Dort wird nun auch ein Instrument erwähnt, mit dem die Krieger zum Kampfe gerufen wurden. Das Klangwerkzeug, »Lur« genannt, wird aber nicht weiter beschrieben. So wurden die ersten Lurenfunde für Kriegstrompeten der Wikinger gehalten und folglich auch mit dem in den Sagas dafür gefundenen Namen versehen. Mit dem Instrument der Bronzezeit, dessen ursprüngliche Bezeichnung nicht bekannt ist - die Bronzezeitleute waren schreibunkundig -, hat der Begriff nichts zu tun. Er verbreitete sich rasch wie auch die Kenntnis der Instrumente, zahlreiche Veröffentlichungen waren und sind ihnen gewidmet. Die S-förmigen, 1,51 bis 2,38 m langen bronzenen Hörner bestehen aus zwei etwa kreissegmentartigen Windungen, die aufeinander senkrecht stehen. Die Schallöffnung wird durch eine große runde, oft reich verzierte flache Scheibe von etwa 25 cm Durchmesser markiert, als Anblasvorrichtung dient ein Kesselmundstück. Alle Luren zeigen einen konischen Verlauf und sind dünnwandig (3-5 mm); an einigen sind Ketten befestigt, die zwischen Schallende und Rohrmitte verlaufen, eher Verzierungen oder Lärm erzeugende Attribute als zum Tragen geeignet. Andere Instrumente sind mit eckigen Rasselplättchen ausgestattet, die von Ösen am Blasende herabhängen. Gefertigt wurden die Rohre durch Bronzeguss in verlorener Form (Wachsausschmelzverfahren) in mehreren Teilen, die später zusammengesetzt wurden. Benannt wurden die Instrumente nach ihren Fundorten in Dänemark, Schweden, Norwegen, Lettland oder Norddeutschland. Von den bisher aufgefundenen 59 Luren sind 15 recht gut erhalten und zum Teil spielbar. Die ersten bekannt gewordenen Luren, sechs an der Zahl, entdeckte ein dänischer Bauer 1797 bei Landarbeiten im Brudevælter Moor in Nordseeland. Die meisten Instrumente wurden im 19., einige im 20. Jahrhundert aus der Erde geborgen, ebenfalls in der Regel Zufallsfunde, einst in Mooren niedergelegt, oft paarweise und selten zusammen mit anderen Gegenständen wie zum Beispiel mit Schwertern und einem Feuersteinmesser (Luren von Lommelev) oder gemeinsam mit Tier- und Menschenknochen, einer Fibel, Bronzeketten, Topfscherben und Holzkohle (Luren von Radbjerg auf Falster).Die einzigen Bildzeugnisse von der Handhabung der Luren sind Felszeichnungen, die zeitgleich oder etwas später entstanden. Eines der wichtigsten verdanken wir dem Kivik-Grab, jenem berühmten Denkmal aus dem östlichen Schonen. Unter einer Fülle von Bildern und Symbolen findet sich auch die Darstellung von zwei Bläsern in einer Reihe von Männern, die sich mit verschiedenen Gegenständen, vielleicht auch musikalischen wie Gong und Trommel, beschäftigen. Sie scheinen die Instrumente verschieden zu halten, eines nach vorn und eines nach hinten. Relativ häufig sind Lurenbläser auf großen Schiffen wiedergegeben worden. Was auf den Instrumenten gespielt wurde, wie musiziert worden ist, ob im Wechsel, über einem Bordun, einem tiefen Dauerton, ob allein oder mit anderen Instrumenten, ist nicht bekannt, doch hat die Frage von jeher die Fantasie von Forschung und Publikum beschäftigt, die Antwort erschien als Schlüssel zum Musizieren und zu den Klangvorstellungen dieser an Handwerkskunst so reichen Zeit. Der Tonvorrat der Luren entspricht dem der gesamten Teiltonreihe, man kann also relativ mühelos 12 bis 14 Töne auf den Instrumenten hervorbringen. Einem spezialisierten Forscher und Musiker gelang sogar eine volle chromatische Skala über zwei Oktaven (G-g2), auch Glissandi, gleitende Übergänge von Ton zu Ton, brachte er zustande. Die Klänge sind nicht sehr obertonreich, der metallene Glanz moderner Blechblasinstrumente fehlt ihnen. Angesichts derart formvollendeter Gegenstände hat man eine lange Entwicklungsreihe von einfacheren Instrumenten angenommen, die den Luren vorausgegangen sein müssten. Dabei hat sich der Blick auf drei Objekte konzentriert, die man der älteren Bronzezeit zuzuweisen pflegt, nämlich die Blashörner von Bochin (heute Steesow), Teterow und Wismar. Da es sich hierbei jedoch um Einzelfunde handelt, erscheint es heute sehr fragwürdig, sie als »Vorformen« der Luren zu bezeichnen.In der späteren Bronzezeit war auch in Irland der Gebrauch von metallenen Blasinstrumenten verbreitet. Die »irischen Hörner« sind dickwandiger als die Luren, haben einen größeren Rohrdurchmesser, sind sehr viel kürzer und nahezu kreissegmentförmig gestaltet. Die 104 gut, manchmal auch nur bruchstückweise erhaltenen Exemplare sind in zwei Grundtypen zu unterteilen, nämlich Hörner mit einer mundstückartigen Anblasvorrichtung an einem Ende und solche mit breitem seitlichem Blasloch. Zuweilen sind Ösen oder Ringe an beiden Enden der manchmal mit umlaufenden Rippen und Zickzackmustern verzierten Hörner angebracht. Im Unterschied zum Guss der Luren in der verlorenen Form wurden die irischen Hörner in je zwei die Länge vorgebenden Modeln mit einem Kern gefertigt, durch den die Bohrung festgelegt wurde. Aufgrund vieler Experimente ist man heute detailliert über die Fertigung der Instrumente informiert. Die Hörner sind schwerer anzublasen als die Luren, ihre musikalischen Möglichkeiten sind geringer als die ihrer festländischen Verwandten. Je ein längs- und ein quer geblasenes Instrument sind offenbar paarweise gespielt worden, wie die Fundumstände nahe legen.Abgesehen von den Funden in den beiden Zentren speziellen Blasinstrumentenbaus und -gebrauchs in Nordeuropa und Irland hat es in der Bronzezeit keine weiteren musikalischen Bodenurkunden gegeben, weder im kupfer-bronzezeitlichen Kreis Osteuropas noch im früh- und mittelbronzezeitlichen Zentral- und Westeuropa. Der angrenzende Süden, die Ägäis, die kretisch-mykenische Welt, sind davon auszunehmen - hier waren Entwicklungen wirksam, die auch die Klangwerkzeuge in dieser Zeit prägten und sie von denen der nördlicheren Bronzezeitkulturen gründlich unterschieden.Sicherlich hat es in allen bronzezeitlichen Kreisen Knochenflöten gegeben, wie sie aus der Zeit vor und nach dieser Epoche geborgen wurden. Sie mögen zerfallen sein wie auch andere Gegenstände aus organischen Materialien. Doch zweifelt man heute an der zeitlichen Einordnung der vermeintlich bronzezeitlichen Instrumente. So mussten zum Beispiel die Datierungen der Flöten von Ullő in Ungarn und Landesbergen bei Nienburg an der Weser aufgegeben werden. Lockpfeifen aus Skandinavien mit Kernspalt beziehungsweise Aufschnitt waren allerdings in der Bronzezeit verbreitet, ebenfalls Panflöten, wie wohl Funde in Karschau in der Ostslowakei und mit Sicherheit aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. in Südpolen (Przeczyce, westlich von Zawiercie) belegen.Auch die wenigen, sicher datierten Schlaginstrumente wie Trommeln, Rasseln, Schraper - zumeist aus Skandinavien - lassen nicht erkennen, welche Lautsphäre in der Bronzezeit vorgeherrscht haben mag. Bronzezeitliche Rasselgehänge, keine eigentlichen Rasselinstrumente, stammen ebenfalls aus Skandinavien, spätbronze- beziehungsweise früheisenzeitliche Gefäßrasseln aus Ton, oft in Tierform, aus Mittel- und Ostdeutschland sowie aus Polen. Ein auffälliger bronzener Gegenstand, bei dem es sich vielleicht um ein Klangwerkzeug, einen Gong, handelt, sei hervorgehoben: Er besteht aus einem durchbrochenen Untersatz mit acht kreisrunden Füßen und einer aufgenieteten (?) Bronzeplatte. Zwei Exemplare, eines aus Schweden und ein weiteres aus Ungarn, sind erhalten geblieben. Im Gegensatz zur hoch entwickelten und hervorragend erforschten Handwerklichkeit der Bronzezeit erweist sich das Musikleben aufgrund der nur spärlich vorhandenen Zeugnisse als weitgehend unzugänglich und ist deshalb, mit Ausnahme der beiden Zentren für Blasinstrumentenbau, nur in geringem Umfang wissenschaftlich erforscht.Prof. Dr. Ellen HickmannArchäologische Bronzen, antike Kunst, moderne Technik, herausgegeben von Hermann Born. Ausstellungskatalog, Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin. Berlin 1985.
Universal-Lexikon. 2012.